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Experimentelle Archäologie & Schlackenbolde auf Domäne Heidbrink:
Versuche zur Rekonstruktion des mittelalterlichen Rennfeuerverfahrens
Michael Koch, M.A. (Höxter)
Abb. 1 Blick durch den Ofenschacht in die Glut der Brennkammer.
Eisen als Mittel zur Macht
Die ersten vom Menschen hergestellten Gegenstände aus Eisen datieren in die Zeit um 1400/1200 vor Christi Geburt und gehören in den Kulturraum des Nahen Ostens, von wo die Eisentechnologie ihren Ausgang nach Europa nahm und um Christi Geburt herum schließlich auch Skandinavien erreichte. Seit der beginnenden Eisenzeit (8. Jahrhundert vor Chr.) rückte das Eisen auch nördlich der Alpen in die Rolle eines zentralen Mittels zum Machterhalt sowie eines Schrittmachers für gesellschaftliche und technologische Umwälzungen. Die Römer hätten ohne das Eisen aus dem Noricum (Kärnten) nicht ihre überragende Waffentechnologie aufbauen können, Karl der Große hätte ohne Eisen keine Panzerreiter in seiner schlagkräftigen Armee aufbieten können. Zumindest seit den Kelten leben in Europa Vorstellungen, die das eiserne bzw. stählerne Schwert zu einem beseelten Mythos geformt haben, ohne den der christliche Ritter des Mittelalters nicht zur Ideal-
Abb. 2 und 3 Einheimisches Eisenerz: links Roteisenstein (Hämatit), rechts Brauneisenstein (Limonit, Goethit); daneben Braun-
Älteste Eisenerzeugung am Solling
Die Anfänge der Eisenerzeugung reichen im Sollingraum wohl bis in die Zeit vor Christi Geburt zurück, worauf besonders Funde von Schlacken und vorgeschichtlicher Keramik bei Markoldendorf hindeuten. Die für die Versuchsreihe zur Rekonstruktion gewählte Rennfeuer-
Rennfeuer-
Die Hochofentechnologie erzeugt Schmiedeeisen im „indirekten Verfahren“, d. h. über den Umweg des Frischens des Roh-
Abb. 4 und 5 Aufgeschnittene und anpolierte Luppe aus Ofen I (Domäne Heidbrink, April 2003). Die hell reflektierenden Zonen bestehen aus schmiedbarem Eisen (z. T. wieder oxidiert), die grauen Zonen aus Schlacke – daneben der zunächst aus dem Ofen geborgene vollständige Luppe-
Durch eine Vergrößerung des Ofens und die verstärkte Luftzufuhr mit Hilfe von wassergetriebenen Blasebälgen entwickelte sich seit dem 12. Jahrhundert in verschiedenen Gebieten Europas das modernere Hochofenverfahren. Dieses hat im Sollingraum spätestens im 16. Jahrhundert, möglicherweise aber auch schon früher Einzug gehalten und das ältere Rennfeuerverfahren verdrängt. Grund hierfür waren eine steigende Nachfrage nach Eisenprodukten und das Erschöpfen der bisher abgebauten oberflächennahen Reicherz-
Der Rennofen kann verschiedene Bauformen und –varianten aufweisen. Typischerweise besteht er aus einem Schacht über einer leicht erweiterten Brennkammer. Archäologische Ofenbefunde aus den Jahrhunderten vor und nach Christi Geburt weisen zumeist eine unterhalb der Brennkammer angelegte Schlackegrube auf, in welche die Schlacke abfließen konnte. Für die Versuchsreihe entschloss sich die Projektgruppe zu einer anderen, jüngeren Bauweise, die den seitlichen Abstich der flüssigen Schlacke im unteren Bereich der Brennkammer vorsieht. Neben archäologischen Ofenbefunden, die selten mehr als die unteren 30 bis 40 Zentimeter der ursprünglichen Höhe des Ofens umfassen, waren es vor allem afrikanische Rennöfen und Verfahrensweisen, die von der Projektgruppe als hilfreiche Ideengeber mit herangezogen wurden. Solche afrikanischen Rennöfen wurden noch bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhundert hinein betrieben und ihre Funktionsweise konnte von Ethnologen untersucht werden. In Mitteleuropa waren solche reinen Renn-
Abb. 6 Gemauerter Stückofen bei Agricola (1556).
Abb. 7 Rennofen des 2. Jahrhunderts v. Chr. nach dem archäologischen Befund von Scharmbeck, von Willi Wegewitz in den Nachrichten aus Niedersachsens Urgeschichte (NNU) 1957 veröffentlicht. Seine Höhe wurde mit nur etwa einem Meter rekonstruiert.
Abb. 8 Aufnahme des wie ein Rennofen mit Schlackegrube betriebenen Schachtofens der Yelwani mit einer Höhe von 1,85 Meter.
Gründung der Planungsgruppe „Schlackenbolde“
Vor diesem kultur-
Die ersten Schritte: Erzsammeln und Ofenbau
Nach zahlreichen Planungstreffen mit Diskussionen um den richtigen Weg zur Vorbereitung und Durchführung der Verhüttungsexperimente schritt die Projektgruppe im Winter 2002 zum ersten praktischen Schritt: dem mühsamen Einsammeln des möglichst reichhaltigen Eisenerzes, was mehrere Tage in Anspruch nahm. Gefunden wurde es auf der Oberfläche von Äckern am westlichen Leinetalrand bei Buensen südlich von Einbeck und auf der Westabdachung des Sollings bei Fürstenberg. Dann steht man vor dem Problem der Stückgröße der Erzkörner: Besitzen sie einen zu großen Umfang, so werden sie nicht vollständig aufgeschmolzen, sind sie zu klein, könnten sie zum Verstopfen des Ofenschachtes mit beitragen. Nach widersprüchlichen Informationen in der experimentalarchäologischen Literatur wurde entschieden, die Erzstücke bis auf die Größe von etwa Haselnüssen zu zerkleinern.
Abb. 9 und 10 Pochaktion -
Bevor eine öffentliche Präsentation der Experimente gewagt werden konnte, musste zunächst der Umgang mit dem fremden Ofen erlernt werden. Aus der umfangreichen experimentalarchäologischen Literatur wurden hilfreiche Erkenntnisse und Hinweise entnommen, viele Fragen und das „richtige Gefühl“ für den Ofen mussten aber durch die eigene Praxis gefunden werden. Am 20. März 2003 wurde endlich der erste Rennofen unter der fachkundigen Anleitung des Töpfers Hannes Klett-
Abb. 11 Aufbau von Ofen I: Fundament, Weidenruten und unterer Düsenkranz.
Abb. 12 Aufbau von Ofen II: Allmählich wächst die Wandung empor.
Abb. 13 Ofen I fast fertig gestellt – im oberen Bereich verhindert die Schienung ein Absacken des Baumaterials – insgesamt wiegt der Ofen etwa 500 Kilogramm.
Das Fundament des Ofens wurde auf Kalkschotter bzw. auf einer Steinplatte angelegt, um möglichst vom Boden aufsteigende Feuchtigkeit abzuhalten. In das Fundament aus Ton und Lehm wurde nun ein Kranz von Weidenruten gesteckt und mit Hilfe von Flechtringen in die angestrebte Gestalt gezwungen. Über diese stabile Substruktion wurde der Ofenschacht aus Lehmballen und –wülsten hochgezogen. Unter den Lehm waren etwas Ton, Asche und größere Mengen an Strohhäcksel bzw. Heu gemischt. Aus typisch modernem „Zeitdruck“-
Das Ziel: Ofenbetrieb und erste Ergebnisse
Allein über zwei Kränze von Luftdüsen sollte der Ofen seine Sauerstoffzufuhr erhalten. Eine Belüftung durch ein nicht authentisches Industriegebläse sollte auf jeden Fall vermieden werden. Zahlreiche der mittlerweile auch in anderen europäischen Ländern modern gewordenen Versuche, einen Rennofen zu betreiben, bedienen sich dieses nicht authentischen Hilfsmittels. Der Ehrgeiz der Projektgruppe ging dahin, die Luft allein durch den Sog, der im aufgeheizten Ofenschacht entsteht, in die Brennkammer eintreten zu lassen. Um die Luftzufuhr zu verbessern und die Brenntemperatur auf einem Niveau von etwa 1100 °C an der Innenseite der Ofenwand stabil halten zu können, wurde in den folgenden Öfen der untere Düsenkranz auf die dreifache Anzahl von Düsen erhöht. Als Brennmaterial dienten lediglich Holz zum Trockenheizen des Ofens und einheimische Buchen-
Abb. 14 Einfüllen der Holzkohle in den Ofenschacht.
Abb. 15 Gespannte Erwartung vor dem Öffnen des Rennofens.
Der erste Rennofen wurde am 23. März und 6. April insgesamt dreimal zur Eisenerzschmelze verwendet, ohne dass übermäßige Abnutzungserscheinungen seine Aufgabe erfordert hätten. Allein die Ausbesserung von Rissen und das neue Verputzen der Ofeninnenwand reichten aus, um ihn für die nächste „Ofenreise“ (Schmelzdurchgang) vorzubereiten. Die insgesamt sechs durchgeführten Ofenreisen wurden zumeist umfassend dokumentiert und zur Verbesserung der folgenden Versuche ausgewertet. Eine Ofenreise lässt sich in drei Hauptphasen unterteilen: Nachdem der Ofen durchgetrocknet ist, wird er zunächst mit Hilfe von Holzkohle auf 1100 bis 1200 °C hochgeheizt, dann folgt die zweite Phase der wechselweisen Beschickung mit Eisenerz und Holzkohle und daraufhin eine dritte Phase, in der der Rennofen weitgehend abgeschlossen wird, um die Reduktion der Eisenoxide zu metallischem Eisen zu fördern. Hierzu wurden bis auf eine sämtliche Düsen mit Lehmstöpseln abgedichtet und eine Metallplatte auf den Ofenschacht gelegt. Die notwendige Dauer dieser letzten Phase der Reduktion ist noch genauer zu erforschen, bisher schwankte die Verfahrensweise zwischen einigen Stunden bis zu einem halben oder ganzen Tagen. Sowohl die Beschickungs-
Abb. 16 Öffnen von Ofen I nach der dritten Ofenreise.
Abb. 17 Blick in das Innere des Ofensockels: Luppe, Ofensau und eine Menge unverbrannter Holzkohle.
Abb. 18 Die „richtige“ stark fließfähige Schlacke, hier in eine Düse hineingelaufen, als Indikator für den erfolgreich rekonstruierten Schmelzprozess im Rennofen.
Höhepunkt der ersten Versuche war ein großer Aktionstag für Groß und Klein auf Domäne Heidbrink, der von der Schmiedewerkstatt Georg Petau in Zusammenarbeit mit dem Heimat-
Mittlerweile wurden erste Analysen von den Resultaten der diversen Ofenreisen im Labor des Mineralogen Andreas Kronz Geowissenschaftlichen Zentrum der Universität Göttingen angefertigt. Eine Veröffentlichung der wissenschaftlichen Ergebnisse der Versuchsreihe ist in Vorbereitung. Zudem fanden am 7. September 2003 im Innenhof von Schloss Bevern und am 14. September 2003 auf der Stadtwüstung bei Schloss Nienover weitere Versuche statt. Trotz bemerkenswerter Fortschritte bleiben immer noch viele Fragen und Probleme, so dass die öffentliche Experimentalreihe hoffentlich in Zukunft noch fortgesetzt werden kann.
Abbildungsnachweis
Abb. 1, 15, 16 Georg Petau
Abb. 2-
Abb. 6 Agricola 1556.
Abb. 7 Wegewitz 1957, S. 15.
Abb. 8 Celis 1991, S. 66.
Abb. 12 Sonja König
Abb. 18 Andreas Kronz
Literatur
Agricola, Georgius, De Re Metallica Libri XII, Basel 1556 (Nachdruck 1977).
Albrecht, Thomas, Wirtschaftsgeschichte des Sollings im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit (Schriftenreihe der Arbeitsgemeinschaft Südniedersächsischer Heimatfreunde e.V., Bd. 11), Duderstadt 1995.
Celis, Georges, Eisenhütten in Afrika. Les fonderies africaines du fer – Beschreibung eines traditionellen Handwerks, un grand métier disparu, Frankfurt/Main 1991.
Gebers, Wilhelm, Linke, F.A., Experimentelle Archäologie – eine Aufgabe der Denkmalpflege. In: Berichte zur Denkmalpflege in Niedersachsen 1987, Heft 3, S. 70-
Koch, Michael, Auf den Spuren des Eisens – Zur Einführung eines interdisziplinären Eisenerz-
Lepper, Jochen, Koch, Michael, Siewers, Ulrich, Stephan, Hans-
Nikulka, Frank, Frühe Eisenerzverhüttung und ihr experimenteller Nachvollzug: Eine Analyse bisheriger Versuche. In: Experimentelle Archäologie – Bilanz 1994. Archäologische Mitteilungen aus Nordwestdeutschland, Beiheft 8, 1994, S. 255-
Stephan, Hans-
Stephan, Hans-
Wegewitz, Willi, Ein Rennfeuerofen aus einer Siedlung der älteren Römerzeit in Scharmbeck (Kreis Harburg). In: NNU 26 (1957), S. 3-
Adressen der Planungsgruppe:
Michael Koch M.A.
Historiker
Rohrweg 60, 37671 Höxter
Tel. 05271/931850
E-
Detlef Creydt
Holzmindener Geschichtsverein
Köhlerweg 2, 37603 Holzminden
Tel. 05531/61856
E-
Hannes Klett-
Töpfer
Kampweg 2, 37816 Fredelsloh
Tel. 05555/416
E-
Marlies Grebe
Holzmindener Geschichtsverein
Unter dem Kieckenstein 20, 37603 Holzminden
Tel. 05531/2369
E-
Georg Petau
Schmied
Domäne Heidbrink, 37647 Polle
Tel. 05535/1775
www.Petau.net
E-
Dr. Andreas Kronz
Mineraloge
Geowissenschaftliches Zentrum der Universität Göttingen
Goldschmidt-
Tel. 0551/39-
E-